ÖkoLinX-ARL: Wiederwahl des Kulturdezernenten Hans-Bernhard Nordhoff (SPD)


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Jutta Ditfurth

»Kunst, korruptiv gezähmt, tanzt in Frankfurt nicht auf Straßen und Hinterhöfen«

Rede zur Wiederwahl des Kulturdezernenten Hans-Bernhard Nordhoff (SPD) in der Stadtverordnetenversammlung vom 13.5.2004

110 Frankfurter Kultur-Promis sind gegen Nordhoffs Wiederwahl.
254 Delegierte des SPD-Unterbezirks für ihn.
Na und?

Seit 1998, seitdem Hans-Bernhard Nordhoff Kulturdezernent ist, gab es keine grundlegende Debatte über Kunst und Kultur im Stadtparlament. Noch nicht einmal eine schlechte.

Allenfalls Debatten über Kosten für die Bühnen oder über die Schließung des TAT. Immer entlang des Haushalts, immer technokratisch. Da sehnt sich eine ja beinahe nach den Zeiten (1981-1985), in denen sich Christdemokraten und Sozialdemokraten und das, was mal Grüne waren, sich ihre grundsätzlichen (Gegen)Positionen qualifiziert und historisch gut fundiert um die Ohren schlugen, als Alexander Gauland noch die Reden für OB Walter Wallmann schrieb, als Herr Hellwig knochentrocken Konservatives zu sagen hatte, als ein Christian Raabe von der SPD bei der Ernst-Jünger-Debatte leidenschaftlich und kenntnisreich gegen Nazi-Ideologen und Antisemitismus wetterte, anlässlich der Jünger-Debatte, welche die, die mal die Grünen waren, ausgelöst hatten. Von derartigen kontroversen, knallharten, gegnerischen Diskussionen gab es damals in einem Jahr tatsächlich mehrere!

Unvorstellbar in diesem heutigen Parlament, unvorstellbar unter diesem Kulturdezernenten.

Wir haben mit Nordhoff einen Kulturdezernenten, der sagt:

»Mit dem Stadtbaurat Ernst May entstand hier seit 1925 so etwas wie ein 'praktizierendes Bauhaus' und mit dem 1923 gegründeten Institut für Sozialforschung um Horkheimer und Adorno die entsprechende theoretische Fundierung, die bis in die 68er Bewegung reichte.« (Manifesta 4 in Frankfurt am Main«, Januar 2001)

Blödsinn! Horkheimer und Adorno haben keineswegs ein 'praktizierendes Bauhaus' 'theoretisch begründet'. Ernst May hatte allenfalls ähnliche Wurzeln wie die Frankfurter Schule. Das bauhaus ist keine Subkultur, keine neuere Musik wie electronic pop oder punk trash metall, auch nichts altes, seltenes Aufregendes wie der Verismus in der bildenden Kunst. Aber: Das Bauhaus ist längst bürgerliches Kulturgut. Nordhoff müsste es also wissen.

Das bauhaus war niemals nicht »praktizierend«. Nordhoff verrät damit, dass er nichts vom Bauhaus weiss, dass niemals nicht-praktizierend war, May hin oder her. Nordhoff scheint nichts von der theoretischen Begründung des Bauhauses Weimar/Dessau zu wissen. Nichts von Lyonel Feiningers »Kathedrale des Sozialismus« von 1919, nichts von Gropius, Klee und anderen.

Kunst muss emanzipatorisch sein, um dem Menschen zu helfen, sein Leben zu verstehen, zu kämpfen, zu geniessen, glücklich zu sein. Eine Großstadtkommune muss den Rahmen dafür schaffen, dass Wut und Kunst, dass Bruch mit Konventionen, sozialrevolutionäre Infragestellung der herrschenden Verhältnisse, dass Utopien durch Kunst untermalt nicht überspielt, dass Menschen gefördert, ermutigt werden!

Das alles kann Kunst. Das darf sie - auch - in Frankfurt nicht.

Da ist sie mehrheitlich durch unsichtbare korruptive Sponsor-Bande gezähmt und wenn sie wirklich atemraubend schön ist hängt sie hochversichert und gut beleuchtet an der Wand und tanzt nicht mehr auf der Straße und in Hinterhöfen.

Was hat irgendwer von Ihnen gegen den alten und neuen Kulturdezernenten? Betont Nordhoff doch an jeder Ecke, seine innige Verbindung zum Kapital. Literaturfeste in Bankentürmen. Literatur im Römer immer staatstragend.

Kunst und Kultur in Frankfurt sind nicht frei. Die Kommune könnte Gegenräume schaffen, Freiräume, in denen KünstlerInnen arbeiten, Musik, Theater, Tanz, elektronische Kunst, Malerei etc., sich entfalten können -- ohne jenen korruptiven giftigen Druck vom ersten Tag an: Wen umschmeichle ich wie, damit ich einen Sponsor finde?

Stattdessen ist die Stadt das schlechteste aller Vorbilder: Im Dom des Kapitals fällt sie mehr als sechs Mal am Tag auf die Knie.

Frankfurt am Main sponsored by Kapital.
Stadtparlament sponsored by Allianz.
Magistrat sponsored by ... Deutsche Bank ... ach suchen sie sich’s aus. Wie stolz dieses Parlament auf seine Abhängigkeit ist!

Nordhoffs Schreckensbilanz: Er zehrt von Ideen anderer. Er lobt sich für 'ne Personalpolitik, die nicht auf seinem Mist gewachsen ist (Bernd Loebe, Intendant der Oper, Bernd Fülle, geschäftsführender Direktor der Städtischen Bühnen, Schauspiel-Intendantin Elisabeth Schweeger, Max Hollein - Schirn, Udo Kittelmann vom Museum für Moderne Kunst, Daniel Birnbaum von der Städelschule).

Tom Stromberg rief von Hamburg nach Frankfurt, als es um die Schließung des TAT ging: »Diese Stadtregierung hat einen Knall!« Die Entscheidung sei ein Signal »gegen Formen experimentellen Theaters«. (Frankfurter Rundschau v. 13.6.2002)

Die Neue Zürcher Zeitung kommentierte: »Der erklärte politische Wille zur Schliessung verbindet sich mit dem Geldmangel zu einer vernichtenden Kraft«. (NZZ v. 28.9.2002)

Was gehört noch zu Nordhoffs Bilanz?
Bühnen privatisiert, also der Kommune enteignet. Forsythe-Teilzeit-Ballett. Beltz-Nachlass in Berlin. Buchmesse nicht verteidigt. Ernst-May-Museum nicht praktizierend. TAT tot.

Hans-Bernhard Nordhoff wird dennoch gewählt werden.
Es geht nicht um Kultur, es geht um Posten.
Das Überlebenselixier der Viererbande CDU/SPD/Grüne und FDP: Wählst du meinen Dezernenten nicht, wähl ich deinen nicht.
Natürlich werden solche Positionen nicht ausgeschrieben. Da bestünde die Gefahr, dass es um Inhalte geht.

Nordhoff ist ein braver Mann. Er macht, was man von ihm verlangt. Er ist nichts eigenes. Er nimmt die Ideen anderer.
Er ist Parteisoldat und Technokrat. Er verwaltet Kultur. Das ist eines der letzten Dinge, die sie verdient.

Nordhoff hat Visionen.
Vision 1: »An dieser Stelle habe ich eine Vision und eine große Bitte. … daß die Kulturinstitutionen der Stadt […] eine mehrjährige Etatsicherheit bekommen«. (StVV am 17.09.1998)

Vision 2: »[…] Gedanken zum Zusammenspiel von Kultur und Wirtschaft […] Kunst und Wissenschaft sind die Innovationsmotoren für die Veränderung der Produktlandschaft. Auf diesen Innovationsprozeß ist Wirtschaft angewiesen.« ( StVV am 17.09.1998)

Vision 3: »Kunst kommt von Können und nicht von Wollen sonst hieße es ja Wunst.« (StVV am 26.10.2000)
Das Zitat ist Kulturtheorie! Auf allerhöchstem Niveau!

Wir wählen keinen »Dressmann«, sagte Sozialdezernent Frey (SPD).
Wir brauchen keinen »champagnerschlürfenden Dezernenten«, sagt ein anderer Nordhoff-Verteidiger, der Kulturchef des Hessenfernsehens.

Richtig. Aber darum geht es bei dem zutreffenden Teil der Kritik nicht. Was in diesen falschen Antworten liegt ist auch eine entsetzlich spießige, eingekerkert-kleinbürgerliche Auffassung von Kunst und Kultur: dass die überflüssig sei und reiner Luxus, nicht Teil des sozialen Lebens sondern Dekoration für sonntags wie der röhrende Hirsch überm Bett oder die postmoderne Designerlampe auf dem Nachttisch.

Denen, die die wirkliche Macht haben und von denen Kunst und Kultur in Frankfurt materiell und ideologisch so erschreckend abhängen, ist Nordhoff nicht schick genug. Ist nicht der brillierende Small-Talker, der auf der Bühne des Jet Set sein Menuett dreht. Das könnte schon beinahe für ihn sprechen.

Diese UnterzeichnerInnenliste gegen Nordhoff gab es nicht, als die Stadtteilbibliotheken starben. Und damit die Möglichkeit für Kinder aus armen, proletarischen, migrantischen und anderen Familien zu lesen, wo die Eltern eben keine privaten Bibliotheken haben?

Ich finde die Unterzeichner sind undankbar.

Sieht man sich die 112 Namen an, war das doch ein fast volksgemeinschaftlich versöhnender Akt:
Der linke Schriftsteller gemeinsam mit dem Hotelchef.
Mancherlei rechts und halblinks unter einen wabbeligen Text vereint. Motto: »Ich kenne keine Klarheit mehr, aber ich mag Nordhoff nicht.«

Bei einigen Unterschriften musste ich schmunzeln. Viele der 112 würden niemals Aufrufe gegen viel schlimmere Figuren als Nordhoff unterzeichnen, weil es andere Hände sind, die sie füttern.

Nordhoff nannte die Initiative einen »Oberschwachsinn«, er habe »selten so gelacht«. Eine glanzvolle Reaktion!

Dabei übersieht er selbst eine seiner wirklichen kulturpolitischen und spezifisch frankfurterischen Glanzleistungen, die in genau der Erzeugung dieses Aufrufes gegen ihn selbst besteht: Denn Kraft der vereinigenden Antipathie gegen Nordhoff wurden sogar Verleger-Familien wie die Unselds auf dem Papier wiedervereint: Joachim Unseld und Ulla Bercewicz-Unseld haben beide den Aufruf gegen Nordhoff unterzeichnet.

Leute, werte Stadtverordnete: Sie haben Nordhoff einfach verdient! Dies ist ein Wahlaufruf - verstanden?!
Um Himmels willen CDU - SPD - FDP - Grüne - wählen Sie ihn!
Er passt zu Ihnen!

Zu mir nicht.


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